Bildquelle: Pixabay

Dass sich jemand diskreditiert, der einen Angriffskrieg führt, darüber braucht kein weiteres Wort verloren zu werden. Doch mit dem offenkundigen Verweis auf die Schuld des Einen ist es für andere Beteiligte nicht getan. Das wäre zu einfach.

Die Frage, ob ein jeder sein Möglichstes zur Deeskalation beigetragen hat und inwieweit man effektiv zu einer Beruhigung der aktuellen Lage beiträgt, ist durch den Verweis auf den Schuldigen längst nicht geklärt.

Schuldig

Mit dem Finger auf den Übeltäter zu zeigen, ihn als Psychopathen, als Irren oder schlechthin als das Böse in Person zu bezeichnen, bringt dabei nur sehr bedingt weiter. Bedingt, weil es uns einen Hinweis auf die Persönlichkeitsstruktur des Aggressors gibt, demgegenüber man sich in Stellung zu bringen gedenkt.

Je mehr über den Gemütszustand und die psychologische Konstitution des Gegenübers bekannt ist, desto mehr nimmt einen dieses Wissen in die Pflicht. Wenn ich weißt, dass jemand leicht reizbar ist, dass er von Großmachtsphantasien besessen ist, sich als etwas Besonderes sieht und er zugleich über ein beachtliches Arsenal an Waffen verfügt, dann bin ich vorsichtig.

Ebenso kann man ein solches Wissen aber auch benutzten, um eigene Interessen zu verschleiern und durch geplante Provokation die Aufmerksamkeit Dritter von mir ab- und auf meinen Kontrahenten hinzulenken.

Vorgeschichte

Gehen wir bei politischen Entwicklungen davon aus, dass nichts ohne Vorspiel geschieht, dass jedes Ereignis mindestens eine Weichenstellung benötigt, die ihm zum Durchbruch verhalf, so ist auch im aktuellen Fall nicht davon auszugehen, dass hier nur eine Seite ihre Macht mehr und mehr auszureizen in der Lage war und alle anderen ohne Handlungsoption daneben standen. Schon Pontius Pilatus konnte nicht darauf vertrauen, dass man seine Geste, die Hände in Unschuld zu waschen, so ohne weiteres akzeptieren würde.

Die Frage nach den Nutznießern der aktuellen Situation wurde ja bereits früh gestellt. Warum z.B. drangen die Amerikaner so stark auf ein Stopp von Nordstream, beziehen aber selbst ihr Öl problemlos weiter aus Russland? Auch innenpolitisch profitierten hierzulande nicht wenige vom Krieg vor der Haustür. Der mediale Fokus wechselt von den unliebsamen Montagsspaziergängen, hin zu Feldern, auf denen man sich profilieren kann: Ausbau der Bundeswehr, Unterstützung der Nato-Partner, Bekämpfen und Mildern von humanitären Katastrophen.

Auch in Bezug auf die derzeit nicht gerade rosig aussehenden Zukunftsprognosen, jetzt wo man sich quasi die Quellen der Energieversorgung gekappt hat und noch längst kein Ersatz bereitsteht, wo eine Teuerung das Land aufgrund einer Vielzahl an politischen Verfehlungen heimsucht, da ist es beruhigend, gegebenenfalls auf den bösen Mann im Osten verweisen zu können, der Hunger und Energieknappheit zu verantworten habe.

Nun – wie konkret die Motivation auf welcher Seite aussehen mag, darüber kann man spekulieren. Vergangene Versäumnisse zu beklagen hilft zudem nicht weiter, eine Aufarbeitung der Geschehnisse wird, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft geschehen. Was jetzt zählt sind die Optionen, die noch vorhanden sind.

Ausweglose Situation

Und da ist zum einen ein psychisch labiler Aggressor, dessen Plan nicht ganz so aufzugehen scheint, wie er es sich vorgestellt hat. Sein Angriffsziel feiert ihn keineswegs als Befreier, sondern setzt erbitterten Widerstand entgegen und lässt die Offensive ins Stocken geraten. Zudem wird ihm der Weg zu westlichem Geld versperrt und mehr und mehr sieht er sich in eine Lage versetzt, aus der er ohne schweren Gesichtsverlust, oder gar mehr, nicht mehr herauszukommen scheint.

Doch ganz so gut sieht es auch für unsere Seite nicht aus. Stimmt die oben angeführte Charakterisierung Putins auch nur zu einem kleinen Teil, ist er tatsächlich ein selbstherrlicher leicht zu kränkender Egomane, der auf einem Pulverfass aus Atomwaffen sitzt, dann wäre eine Reaktion wie die eines in die Enge getriebenen Tieres durchaus denkbar: sich und alle anderen mit sich in die Luft zu jagen.

Spätestens jetzt also sollte man nicht übermütig werden, den vermeintlichen Sieg schon in der Tasche weiter Druck aufbauen, sondern konstruktiv versuchen, den Konflikt zu beenden. Dabei sollte es für beide Seiten möglich gemacht werden, zumindest zum Teil das Gesicht zu wahren, so dass man gemeinsam einen Plan für mehr Sicherheit und Stabilität in Europa angehen kann.

Gemeinsame Zukunft?

Das heißt aber nicht, zu signalisieren, dass Putin mit dem Krieg letztendlich zum Ziel gekommen sei – natürlich muss auch Russland in Bezug auf europäische Interessen Grenzen gesetzt werden, denn wie man deutlich sieht, nicht nur Russland kann sich vom Westen bedroht fühlen, der Westen hat allen Grund auch in Russland eine Gefahr zu sehen!

Stabilität kann allerdings nur auf Augenhöhe stattfinden. In Russland liegen Bodenschätze, die wir dringend benötigen, und Russland seinerseits täte gut daran, in Europa einen verlässlichen Partner für Handel, aber auch zur Entwicklung neuer und besserer Technologien zu sehen. Derzeit überwiegt der Eindruck vom einen als pubertierenden Knaben und vom anderen als alterstarrsinnigen Oberlehrer, dem letztlich auch nur das eigene Wohl am Herzen liegt.

Eine gemeinsame Zukunft im Westen braucht Deeskalation und einen langen Prozess der Kommunikation, aus dem Vertrauen wachsen kann. Wie schwer das allerdings sein wird, kann man allein schon sehen, wenn man die Zerstrittenheit hierzulande in den Blick nimmt. Ehrlichkeit, so scheint es in unserer politischen Landschaft, ist längst keine Tugend mehr, sondern sie wird als Ballast wahrgenommen. Die Alternative, dass sich Russland weiter abkapselt und seine Beziehungen nach Osten ausbaut, kann für Europa allerdings keine Perspektive sein und dem sollte mit aller Kraft entgegengewirkt werden.

Das Schicksal unseres Landes, die Chancen, neue Weichen zu stellen, für Frieden und eine stabile Zukunft in Europa und auf der Welt zu sorgen, liegen also nicht in einer restriktiven Gesundheitspolitik oder in stets eskalierenden Modellen zur Gängelung der Bevölkerung aus Naturschutzgründen, sondern in der Frage, ob wir uns ehrlich auf die Wurzeln unserer westlichen Kultur besinnen, ob wir und offen auf unsere Nachbarn zugehen und als verlässlicher Partner wahrgenommen werden, der eher einem weisen Großvater gleich überschüssige Kräfte abfängt und in produktive, kreative Projekte ummünzt, statt weiterhin mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, trotzig und im Wissen „es allen zu zeigen“, den Karren in den Dreck fahren um anschließend andere für unser Scheitern zu suchen.

Hier wird sich die tatsächliche Qualität unserer politisch-medialen Kaste zeigen.

Medias in Res im Netz

Odysee Bitchute